Geschichte des Herrn William Lovell by Tieck Ludwig
Autor:Tieck, Ludwig
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-02T16:00:00+00:00
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Rosa an William Lovell
Rom.
Ich kann Ihre Frage nicht so beantworten, lieber Freund, daà Sie mit meiner Antwort zufrieden sein werden. Die Gedanken und Empfindungen drehen sich im Menschen wie zwei Zirkel herum, die sich in einem Punkte berühren, an diesem wissen wir nicht zu unterscheiden, was Idee und Gefühl ist, und wir halten uns dann für vollendet. Die Zirkel drehn sich weiter, und wir glauben uns dann wieder verständiger, weil wir beides zu sondern wissen. Der Mensch ist sich selbst so rätselhaft, daà er entweder gar nicht über sich nachdenken, oder aus diesem Nachdenken sein Hauptstudium machen muÃ: wer in der Mitte stehenbleibt, fühlt sich unbefriedigt und unglücklich. â Ich sinne oft dem Gange meiner Ideen nach, und verwickele mich nur um so tiefer in diese Labyrinthe, je mehr ich nachsinne. So viel ist gewiÃ, daà wir gewöhnlich viel zu sehr den gegenwärtigen Moment vor Augen haben, und darüber unser ganzes voriges Leben auÃer acht lassen; die gegenwärtige Empfindung verschlingt alle früheren, und die jetzige Idee macht, daà uns alle vorhergehenden nicht mehr als Ideen, sondern als kindische ungeschickt entworfene Skizzen erscheinen. Daher leugnen wir uns so oft unsre innerste Ãberzeugung ab; und so wie der Mörder den noch halbbelebten Leichnam ängstlich mit Erde bedeckt, so verscharren wir mutwillig Empfindungen, die sich in uns zum BewuÃtsein emporarbeiten wollen. â Oh, wenn wir doch Teleskope erfinden könnten, um in das tiefe Firmament unsrer Seele zu schauen, die MilchstraÃe der Ahndungen zu beobachten, die nie unserm eigentlichen Geiste näherrücken, sondern wie Nebelflor die Sonne in uns verdunkeln, ohne daà man sagen kann: jetzt geschieht es!
Die Träume sind vielleicht unsre höchste Philosophie, die Schlüsse der Schwärmer sind für uns deswegen vielleicht unverständlich und lückenvoll, weil wir es nicht begreifen, wie in ihnen Vernunft und Gefühl vereinigt ist. So kömmt mir das jetzt ehrwürdig vor, was ich noch vor einem halben Jahre belachte, und ich möchte jetzt manchmal über das lächeln, was mir damals so wichtig erschien. â Es ist nichts in uns Festes, lieber William, mit unsrer veränderten Nahrung werden wir andere Menschen; je nachdem unser Blut schnell oder langsam flieÃt, sind wir ernsthaft oder lustig; sollten alle diese Erscheinungen von gar keinem Gesetze in oder auÃer uns abhängen, wie wenig Wert hätten dann die jedesmaligen Resultate! â Doch oft scheint das äuÃerlich Zufall, was eine lange berechnete innerliche Notwendigkeit war; und so gleicht der Mensch vielleicht den Trauerspielen Ihres Shakespeare, wo, wie Sie mir selber gesagt haben, der Schluà so oft von einem plötzlich eintretenden Vorfalle abzuhängen scheint, da er doch schon in den ersten Versen des Stücks, in allen Kombinationen gegründet liegt, und daher notwendig war.
Wir übersehn immer nur die Stelle unsers Lebens, auf der wir stehn, und alle unsre Gedanken, Empfindungen und Handlungen sind nur auf dieser Stelle einheimisch, jeder steht anders, alle Gesinnungen brechen sich in verschiedenen Richtungen, und laufen nur für den geradeaus, in dem sie sind; daher wollen wir, wenn wir nichts anders sein können, nachsichtig sein, und nicht den Nachbar beurteilen und tadeln, der uns von unserm Standpunkte vielleicht in einer seltsamen Verkürzung erscheint.
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